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Waldschutzgebiete tragen in Europa verschiedene Schutzziele und -strategien © DI Dr. Georg Frank

Harmonisierung europäischer Waldschutzgebiete

Ein Artikel von DI Dr. Georg Frank | 24.02.2006 - 00:00
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Waldschutzgebiete tragen in Europa verschiedene Schutzziele und -strategien © DI Dr. Georg Frank

Waldschutzgebiete - Protected Forest Areas - dienen primär dem Schutz von bestimmten Aspekten der Biodiversität, etwa von Arten und Lebensräumen, natürlichen Ressourcen oder dem Schutz des Waldes an sich. Weitere Gründe zur Einrichtung von Waldschutzgebieten sind der Schutz vor Naturgefahren, Erholung oder ästhetische Motive. Höchst unterschiedlich sind auch Einschränkungen und erlaubte Aktivitäten wie die forstwirtschaftliche Nutzung, der Straßenbau, wissenschaftliche Aktivitäten, öffentlicher Zugang und touristische Nutzung, Sammeln von Beeren und Pilzen sowie die Jagd.
Der Wald in Europa weist Eigenheiten auf, welche die Anwendung global gültiger Schutzgebietskategorien erschweren. Dies sind der seit Jahrtausenden anhaltende Kultureinfluss, die Fragmentierung der Waldgebiete und der große Anteil Privatwald. Außerdem tragen die verschiedenen Schutzziele und -strategien dazu bei, dass die quantitative und qualitative Erfassung sehr kompliziert ist. Die europäischen Waldschutzgebiete unterscheiden sich daher grundlegend von jenen in Regionen mit weitgehend unberührten, großflächigen Wäldern in Staatsbesitz.

IUCN-Kategorien.Die Klassifikation der International Union for the Conservation of Nature (IUCN) ist die älteste und einzige global anerkannte. Sie ist auf alle weltweit existierenden terrestrischen und aquatischen Lebensräume und Ökosysteme ausgerichtet und berücksichtigt regionale Besonderheiten nur zum Teil. Für einen weltweiten Vergleich ist es das einzig verfügbare Instrument.
Bei der Anwendung auf europäische Waldschutzgebiete ergeben sich Probleme vor allem hinsichtlich der Kriterien Mindestfläche, jagdliche Nutzung, Wildtiermanagement und Forstschutz. Die IUCN-Management-Kategorien werden im UN-ECE/FAO Temperate and Boreal Forest Resources Assessment 2000 (TBFRA, 2000) verwendet. Vereinfacht ist dies eine Inventur der Waldressourcen der borealen und temperierten Zonen der Erde.

MCPFE-Schutzgebietsklassen. Eine Arbeitsgruppe der Ministerkonferenz zum Schutze des Waldes in Europa (MCPFE) hat ein spezifisch europäisches Klassifikationsschema erarbeitet.
Dieses ist mit den IUCN-Management-Kategorien kompatibel und für den globalen Vergleich geeignet. Vorteil gegenüber dem IUCN-Schema: Kleinflächige Schutzgebiete, in denen minimale Eingriffe wie Waldbrandkontrolle, Forstschutzmaßnahmen, Betretung und die zerstörungsfreie wissenschaftliche Nutzung erlaubt sind, können besser erfasst werden.
Die Kategorie „Conservation Through Active Management” sieht auch Gebiete vor, in denen ein spezifisches Schutzziel durch aktive Maßnahmen erreicht werden soll.

Natura 2000-Netzwerk ist einzigartig in Europa. Das Natura 2000-Programm ist bisher die einzige Konzeption auf europäischer Ebene, welche die unterschiedliche Bedeutung und Gefährdung von Lebensraumtypen berücksichtigt und Prioritäten setzt. Die Verordnung eines konkreten Natura 2000-Gebietes muss nicht die Aufgabe der forstlichen Nutzung bedeuten. Je nach Schutzgut und -ziel sind unterschiedliche Schutzregime möglich. Neben Wäldern beinhaltet das Natura 2000-Netzwerk viele andere Lebensräume.
Die konkrete Zuordnung von Natura 2000-Gebieten zu IUCN- oder MCPFE-Kategorien ist derzeit noch nicht endgültig geklärt. Die rechtlichen Grundlagen sehen im Grunde nur ein Verschlechterungsverbot vor. In einigen Ländern beinhaltet das Natura 2000-Netzwerk nur streng geschützte Waldgebiete, andere haben auch Flächen mit multifunktionaler Waldwirtschaft in die Statistik mit aufgenommen.
Die COST-Aktion-E27 ist hier zum Schluss gekommen, dass eine pauschale Zuordnung zu einer MCPFE-Kategorie nicht mit den Richtlinien in Einklang zu bringen ist. Die COST-Arbeitsgruppe schlägt vor, dass der Inhalt der konkreten Gebietsverordnungen Gegenstand der Prüfung der Zuordnung sein soll.

Datenbank der europäischen Umweltagentur. Unabhängig vom Forstministerprozess wird seit 1995 vom European Topic Centre for Nature Conservation in Paris, einer Einrichtung der Europäischen Umweltagentur EEA, eine eigene Datenbank entwickelt. Diese enthält Informationen über von nationalen Stellen oder von der EU genannte Schutzgebiete, ist aber im Gegensatz zum MCPFE-Schema nicht waldspezifisch ausgerichtet. Die Datenbank enthält über 800 Typen von Schutzgebieten aller Lebensräume in 48 europäischen Ländern. Insgesamt schätzt man die Anzahl der Schutzgebiete in Europa auf 65.000 bis 70.000. Ein Hauptproblem der Datenbank ist die Aktualisierung hinsichtlich der Erfassung und Kategorisierung einzelner Schutzgebiete. Ein besonderes Problem sind Doppelzählungen und überlappende Kategorien.
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Fichten-Urwald im Nationalpark Retezat, Rumänien © DI Dr. Georg Frank

Freiwillige Naturschutz-Initiativen. Immer wichtiger werden freiwillige Naturschutzinitiativen („voluntary approaches on forest protection”). Sie spielen in Schweden und Finnland eine immer größere Rolle, aber auch in Österreich mit dem Naturwaldreservate-Programm, den Gen-Erhaltungswäldern und den Flächen des Vereins Biosphäre Austria (BIOSA). Die Kategorien-Zuordnung ist problematisch, da oft Voraussetzungen fehlen oder nicht öffentlich nachvollziehbar sind wie der gesicherte Schutzstatus durch langfristige Verträge.

Was ist ein Wald? Auch die Definition von Wald ist in den europäischen Staaten keineswegs einheitlich. Es macht gerade für die Erfassung von Waldschutzgebieten einen ganz wesentlichen Unterschied, ob hier ein nationales Forstgesetz zur Anwendung kommt oder die Definition nach TBFRA (2000). TBFRA sieht eine Überschirmung von mindestens 10% vor, das österreichische Forstgesetz eine Überschirmung von wenigstens drei Zehntel im Alter von 60 Jahren.
Erschwerend kommt hinzu, dass die im globalen Kontext gebräuchliche Kategorie „other wooded land” - am ehesten zu übersetzen mit „sonstige bestockte Flächen” - den meisten nationalen Definitionen fremd ist. Diese Flächen werden zumeist von den nationalen Waldinventuren gar nicht erhoben.     

Analyse und Hamonisierung. Um ein zuverlässiges und vergleichbares Abbild des Schutzstatus des Waldes in den europäischen Staaten zu erhalten, sind gemeinsame Maßstäbe und eine Harmonisierung der Kategorien erforderlich. Allerdings sollen im Rahmen der COST-Aktion-E27 auch die historischen und sozioökonomischen Wurzeln der Vielfalt von Waldschutzgebieten in den einzelnen Ländern verstanden und respektiert werden.   
COST steht für „Cooperation in the Field of Scientific and Technical Research” und ist ein Europäisches Rahmenprogramm zur Koordination von national finanzierten Forschungsschwerpunkten. COST-E27 startete im März 2002 und endete mit einer Abschlusskonferenz Ende Februar 2006 in Barcelona/ES. Beteiligt sind rund 100 Wissenschafter und Experten aus 25 europäischen Staaten.
Größter Wert wird auf die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern mit Praktikern aus der Naturschutz- beziehungsweise Forstadministration gelegt. Beobachterstatus haben die Liaison Unit der MCPFE und das Europäische Zentrum für Naturschutz und Biodiversität. Daneben gibt es rege Kontakte zur IUCN, zur UN-Economic Commission for Europe, zum United Nations Environmental Programme (UNEP) und zum Europäischen Waldbesitzerverband (CEPF).
In der COST-Action-E27 führt Österreich durch den Verfasser den Vorsitz. Es geht dabei auch um Fragen, die über die bloße Kategorisierung hinausgehen, wie die Repräsentativität und die Verteilung von Schutzgebieten, die Abschätzung ihrer Naturnähe auf einer europäischen Ebene und letztlich um ein sinnvolles Verhältnis zwischen bewirtschafteten Wäldern und Schutzgebieten sowie deren Wechselwirkungen. Auch ist der bisher von Wissenschaftlern noch vorsichtig behandelte ökonomische Wert der Schutzgebiete ein Thema.

Vergleich von MCPFE und TBFRA. Offensichtlich divergieren in den meisten Staaten die Ergebnisse der Erfassung nach TBFRA (2000) und MCPFE (2003), in vielen Fällen sogar sehr stark. In einer eigenen Umfrage wurden diese Ergebnisse von den COST-E27-Delegierten auf ihre Plausibilität geprüft. Die Zuverlässigkeit der Datenerhebung und des Reportings wurde von den Experten nicht als primäre Ursache der Unstimmigkeiten genannt, da sie die Richtigkeit der Daten nicht in Frage gestellt haben, sondern höchstens einräumten, dass unterschiedliche nationale Walddefinitionen und Erhebungsstichtage zu Unschärfen geführt haben.
Die Daten sowohl für TBFRA als auch MCPFE wurden in allen Fällen von offiziellen Stellen zusammengeführt und aufbereitet. Nationale Waldinventuren sind aber nur zum Teil die Datenquellen. Die Flächeninformationen stammen sehr unterschiedlich aus offiziellen bis zu NGO-Datenbanken und GIS-Layern, im Falle Österreichs wurde sogar ein eigenes Projekt gestartet (Schwarzl & Aubrecht, 2003).
Selbst wenn die Daten durchaus glaubwürdig sind, lassen die Definitionen der einzelnen Schutzgebietsklassen einen bestimmten Interpretationsspielraum zu. COST-E27 hat das Ziel, die Gründe für diese unterschiedlichen Interpretationen zu finden und Vorschläge für eine Verringerung des Interpretationsspielraumes zu erarbeiten.

Multivariate Analyse von Schutzgebietstypen. Mit multivariaten, statistischen Methoden wurde versucht, die Charakteristik, Ähnlichkeiten und Unterschiede der Waldschutzgebiete betreffend Einschränkungen und Motiven der Ausweisung zwischen Kategorien und Ländern zu erfassen. Die 24 Teilnehmerländer stellten über 261 Datensätze zu nationalen Schutzgebiets-Typen für die Analyse bereit. Ausgerechnet die nahe liegendsten Merkmale Anzahl, Größen und Mindestgrößen sind am wenigsten komplett, weil sich in vielen Ländern Schutzgebiete überlappen und in föderalen Staaten aufgesplitterte Berichtskompetenzen die Erhebung erschweren.
Die statistische Analyse zeigt eine  Trennung zwischen Einschränkungen, die die Holzressourcen und waldbauliche Maßnahmen betreffen, und solchen, die mit Nicht-Holzprodukten und dem öffentlichen Zutritt zu tun haben. In Nordeuropa betreffen die Einschränkungen eher die forstliche Nutzung, in den mediterranen und atlantischen Ländern sind es Zutrittsbeschränkungen und die Nebennutzungen. Länder mit hohem Waldanteil und geringer Bevölkerungsdichte haben Einschränkungen, die auf die Erhaltung großer Waldgebiete abzielen, während Länder mit hoher Bevölkerungsdichte und geringer Waldausstattung vor allem die touristische Nutzung und die Nebennutzungen begrenzen.
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Abb.: Vergleich der Ergebnisse europäischer (MCPFE) und globaler Schutzgebietskategorien (TBFRA) in COST-Aktion-E27-Teilnehmerstaaten © DI Andreas Fischer

Wert der Schutzgebiete. Eine direkte monetäre Bewertung von Schutzgebieten liegt außerhalb des Auftrages von COST-Aktion-E27. Es wurde ein qualitativer Ansatz gewählt, um direkte und indirekte Nutzen, Einschränkungen und Entschädigungen differenziert nach den jeweiligen Interessengruppen am Wald zu bewerten. Es wurde unterschieden zwischen strengen Schutzkategorien (MCPFE Klassen 1.1, 1.2) und weniger strengen (MCPFE 1.3 und 2) sowie zwischen dem Schutzgebiet und der Umgebung. Trotz regionaler Unterschiede konnte gezeigt werden, dass die Nutznießer von Waldschutzgebieten in deren Umgebung liegen und nicht die Waldeigentümer selbst sind, wobei generell Schutzgebiete mit weniger strengem Schutzregime einer größeren Zahl von Nutznießern zugute kommen.