Harz_Waldschaeden_NLF.jpg

So sieht es im Harz aus: 37.000 ha wurden in den Niedersächsischen Landesforsten in den vergangenen Trocken- und Käferjahren geschädigt © Niedersächsische Landesforsten/NLF

Deutschland

Alarmstufe Rot

Ein Artikel von Gerd Ebner | 25.04.2023 - 16:12
Podium_Goettingen.jpg

Berichteten über die Waldzustände im Nordwesten Deutschlands: Jörg van der Heide, Andreas Voss, Klaus Jänich, Thies Mordhorst, Rudolf Alteheld (v. li.) © Holzkurier.com

Jörg van der Heide, Hessen-Forst, erklärte, dass in seinem Bundesland „alle Baumarten von der mehrjährigen Dürre betroffen sind, aber besonders die Buche und die Fichte. Ich muss leider hinsichtlich der Vorratsentwicklung pessimistisch sein“, urteilte er. Zwar gebe es für Hessen keinen Frischholzeinschlags-Stopp mehr, der 2023er-Einschlag werde aber um 30 % unter 2022 liegen, musste van der Heide mitteilen. Das für den Staatswald in Hessen geltende Buchen-Moratorium wird aktuell von einer AG überprüft und Eckpunkte für die weitere Behandlung von Buchenwäldern werden erarbeitet.

Fichtenvorrat in NRW mehr als halbiert

Andreas Voss erläuterte, dass der Landesbetrieb Nordrhein-Westfalen 120.000 ha verwalte. „Noch befinden wir uns in der Kalamitätsbewältigung, welche, landesweit betrachtet, aber zunehmend abklingt. Je nach regionalem Kalamitätsverlauf haben wir uns bereits der immensen Herausforderung der Wiederbewaldung gestellt. Dies wird uns noch die nächsten Jahre viel abverlangen. Die durch die Kalamität entstandene Freifläche beläuft sich landesweit auf geschätzt 135.000 ha, rund knapp über 90.000 ha sind davon derzeit wiederzubewalden. Dies mit einer standortbasierten sowie multifunk-tionalen Ausrichtung als Zielsetzung. „Mischen, mischen, mischen“ lauten hier die Schlagworte. Vor der Kalamität hatten wir 46 % Nadelholz. Damals hatten wir einen Hiebsatz von 550.000 fm/J – jetzt werden es eher 350.000 fm sein.

Von 9 Mio. fm Fichtenvorrat sind es mittlerweile wohl weniger als 4,5 Mio. fm – Tendenz weiter abnehmend. Unser Wald ist seit 2018 permanent von einer unüblichen Trockenheit betroffen. 45,1 Mio. fm Schadholz sind seither landesweit angefallen.“ In größer werdenden Anteilen sei das Schadholz schon „nicht mehr forstschutzrelevant und könnte im begründeten Fall auch stehengelassen werden“.

Bei jeder Ernte fürchte ich, dass sich Leute an Bäume kleben.


Ein Forstverantwortlicher

Fichte im Harz fast verloren

Harz_Waldschaeden_NLF.jpg

So sieht es im Harz aus: 37.000 ha wurden in den Niedersächsischen Landesforsten in den vergangenen Trocken- und Käferjahren geschädigt © Niedersächsische Landesforsten/NLF

Klaus Jänich, Vizepräsident Niedersächsische Landesforsten, erklärte, dass „im Harz 80 % der Fichte verloren sind, wir kämpfen aber um die verbleibenden 20 %.“ Dort habe man 26.000 ha Freifläche. „Unsere Hauptaufgabe ist es, diese wieder in Kultur zu bekommen.“ Im Flachland Niedersachsens gelte ebenfalls: „Die Fichte ist aufgrund der standörtlichen Ausgangslage in einem hohen Risiko.“ Im Flachland lässt sich laut Jänich aber nichts „kompensieren, was wir im Harz verloren haben“. Der Fichtenhiebsatz der Niedersächsischen Landesforsten werde sich von 700.000 fm/J vor der Kalamität nunmehr halbieren. „Unsere dünnen Fichten haben einen hohen laufenden Zuwachs. Da sie aber sehr dünn sind, ergibt sich ein geringer Hiebsatz.“

Eher starke Fichten ernten wegen Risikos

Im Bundesland Schleswig-Holstein habe die Fichte keine großen Probleme, erläuterte Thies Mordhorst von den dortigen Landesforsten. Der Gesamthiebsatz bleibe bei 255.000 fm/J, es gebe keinen großen Vorratsverlust. Man plane aber eine Zielstärkennutzung: eher starkes Nadelholz, um das Risiko zu minimieren. „90 % der künstlichen Verjüngung sind Voranbau – hier muss genutzt werden.“ Mordhorst bemängelte das Verständnis, „dass nur ein stabiler Wald den Wald als solchen schützen kann. In den Ballungsräumen treffen wir bei der Ernte zunehmend auf ein Unverständnis seitens der Waldbesucher“.

Rudolf Alteheld, Landwirtschaftskammer Niedersachsen, zählte auf, welche Millionenschäden seit 2017 Jahr für Jahr auftraten: Trockenheit und Stürme summierten sich auf 20 Mio. fm oder fast 70 % des Gesamteinschlags in dieser Zeit.

Große Flächen, aber nicht unmöglich ...

In Niedersachsen hat man 60.000 ha Freifläche. „Das sind aber nur 5 % der Waldfläche und ich sehe es nicht als Mission Impossible an“, erklärte Alteheld. 

Allerdings gebe es 150.000 ha Umbaufläche – und hier stelle sich die Frage, woher die nötigen 500 Millionen Forstpflanzen kommen sollen. 

„Die kommenden Jahre sind das Umbauzeitalter“, nannte es Alteheld. Er plane, den Einschlag am Bedarf auszurichten. Die Buche ist bei Alteheld „flächendeckend ein Sorgenkind, wir sind überrascht, wie krank sie ist“. Damit sind bei Alteheld beide Hauptbaumarten – Fichte und Buche – angeschlagen.

Die Buche ist ebenfalls flächendeckend ein Sorgenkind. Wir sind überrascht, wie krank sie ist.


Rudolf Alteheld


Bundesland
Schadholz in Mio. m³ Wiederzubewaldende Fläche in 1.000 ha

Schadfläche Gesamt

2018 2019 2020 2021 2022 2023* Gesamt 2019–2020 2021 2022 2023*
Hessen 5,5 7,8 10,1 6 3,5 1,6 34,5 40 21,7 18,9 4 84,6
Niedersachsen 5,1 4,7 6,7 3,6 5,4 2,1 27,6 33,5 16,2 12,3 7,1 69,1
Nordrhein-Westfalen 3,4 15,8 13,2 8,9 4,9 3,1 49,3 59,5 18,3 9,1 6,2 93,1
Schleswig-Holstein 0,1 0,1 0,1 0,1 0,5 0,1 1 0,7 0,3 0,4 0,2 1,6
Gesamt 14,1 28,4 30,1 18,6 14,3 6,9 112,4 133,7 56,5 40,7 17,5 248,4

Der 2023er-Einschlag wird um 30% unter 2022 liegen – und das, obwohl der Frischholzeinschlag-Stopp beendet ist.


Jörg van der Heide

Niedersachsen braucht 500 Millionen Forstpflanzen – wo sollen die herkommen? Ein Kilogramm Samen ist so viel wert wie Silber. Einfach ausgesät, erhalte ich davon nur 3000 Pflanzen. Die Kosten sind also enorm.


Rudolf Alteheld

Forstsamen teurer Flaschenhals

In der Diskussion wurde klar, dass Forstpflanzen rar und teuer sind: „1 kg Douglasiensamen kostet etwa 1350 €. Daraus können bei einer professionellen Handhabung etwa 40.000 bis 50.000 Forstpflanzen erzeugt werden. Wenn man das Saatgut direkt im Wald säen würde, kämen nur 3000 Pflanzen heraus“, erklärt Alteheld.

Bei knappen Personalressourcen „macht es Sinn, eher Samen zu ernten, als Holz bereitzustellen“, formulierte es die Forstrunde in Göttingen. 

Van der Heide verwies darauf, wie schwierig die Pflanzung (Personal und Pflanzgut) sei. Nicht viel einfacher sei die Pflege (Personalmangel). Dann komme aber noch die Wildfrage. All das zusammen müsse geklärt sein, denn: „Wir können es uns nicht leisten, Hunderte Millionen für die Wiederbewaldung in den Sand zu setzen.“

Mut zur Lücke legitim

Angesichts der Größe der Herausforderung müsse man „Mut zur Lücke beweisen und Sukzessionsflächen zulassen“, argumentierte van der Heide. Die Fichte ist laut van der Heide in Hessen „bei den anstehenden Pflanzungen fast schon vernachlässigbar. Die vorhandene Fichtennaturverjüngung ist dagegen sehr wohl relevant“. „Im Harz wird die Fichte noch angepflanzt“, betonte Jänich. „Hier sind aber Bewirtschaftungskonzepte erforderlich, die das Risiko deutlich minimieren.“

Arbeitsanweisung: das Grüne nach oben

Für die Wiederbewaldung ist es schwer, Personal zu finden – noch dazu, wo das saisonale Zeitfenster sehr klein ist. Die Arbeitsanweisung: „Grün nach oben“, sei zu wenig – die Leute bräuchten gewisse Pflanzkenntnisse. „Sonst erhält man nicht die Qualität, die nötige ist.“

Nichtheimische Baumarten welcome

Auf die Frage, ob nicht heimische Baumarten erwünscht sind, erwiderte Mordhorst, dass „die Zertifizierer mit dem Klimawandel mitdenken müssen“. Küstentanne dürfe schon in den Wald, ebenso Roteiche und Douglasie. Neuartige sollten aber nur maximal 20 % auf der Fläche einnehmen. Die SHLF nutzen diese Möglichkeit, um auf Standorten, die nur ein geringes Portfolio an heimischen Baumarten zulassen, die Mischung zu ergänzen.

Hinsichtlich des Wunsches, „den Wald sich selber zu überlassen“, warnte die Forstrunde: „Wenn, dann hat man auf den Schadflächen im besten Fall Birke und Lärche. Alternativ sind es zu 100 % Brombeere und Gras – will das die Bevölkerung?“ Und: „Lässt man Wälder, die heute 70 % Fichte haben, unbewirtschaftet, hat man übermorgen 100 % Fichte – das wollen auch nicht alle.“

Explizit ergänzte van der Heide, wofür qualifiziertes Forstpersonal steht: „Die Wiederwaldung nach wissenschaftlichen Erkenntnissen und bewährten Praxisregeln umzusetzen, also einen klimastabilen gemischten Wald zu entwickeln. Dafür sind wir schließlich da!“ Wenn man gar nichts mache, habe man nicht die Wälder, die man für den Klimawandel benötige, lautete das Resümee. Voss: „Die zeitliche Komponente spielt eine wesentliche Rolle. Durch die aktive Forstpartie kann der angepasste Wiederbewaldungsprozess deutlich verkürzt werden. Wir haben da keine Zeit für Experimente. Sowohl die Waldfunktionen als auch der Rohstoff Holz werden dringend benötigt.“

Wo Naturverjüngung kommt, ist sie herzlich willkommen. Selbst, wenn es Fichte ist. Einfach, damit irgendetwas wächst.


Diskussionsbeitrag zur Mammutaufgabe Waldumbau

CO2-Speicher nur, solang Baum lebt

Lars Schmidt, DeSH-Hauptgeschäftsführer, verwies in Göttingen, dass die stillgelegten Wälder laut der LULUCF als CO2-Speicher dienen. „Die CO2-Freisetzung bei einem Sturmereignis oder die entgangene CO2-Speicherung in Holzhäusern wird völlig ignoriert.“

Erörtert wurde in Göttingen auch der „Problemfall Hessen“ (Klaus Kottwitz, Leiter DeSH-Mitgliederbetreuung). Dort könnte die Buchenernte entsprechend der Naturschutzleitlinie 2022 für den hessischen Staatswald um 90 % zurückgehen. Ein „grünes Band quer durch Hessen“ würde dann 8000 ha umfassen, wovon 2000 ha unter Totalschutz stünden. Parallel soll in Hessen der Holzbau seinen Anteil von 5 auf 25 % erhöhen. „Unerwünschte Holzernte, erwünschter Holzbau – wie soll das gehen?“, fragte Kottwitz, abschließend.

Im Harz sind 80% der Fichten verloren. Wir kämpfen um die verbleibenden 20%.


Klaus Jänich