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Die heurigen Laubholztage standen ganz unter dem Motto: Cellulosefasern für Textilien © TLH

Laubholztage

Neue Wertschöpfung mit Cellulosefasern aus Buche

Ein Artikel von Univ.-Prof. i.R. Dr. Dr.h.c. Alfred Teischinger | 10.07.2024 - 11:42

Das TLH ist ein in seiner Idee ab 2015 entwickeltes und 2020 mit Unterstützung des Landes Baden-Württemberg gegründetes Technikum, das in seiner Zielsetzung zwischen einem reinen Forschungsinstitut und der industriellen Umsetzung angesiedelt ist. Das TLH versucht konkrete Forschungsideen mit noch geringem technologischem Reifegrad möglichst rasch in einem Pilot- und Technikumsmaßstab hoch zu skalieren, um die damit verbundene Technologieentwicklung für die Übernahme in einen industriellen Maßstab attraktiv zu machen.

Herausforderung Textilfaser

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Studierende der Hochschule Reutlingen präsentierten ihre aus der am TLH entwickelten Faser designten Kleidungsstücke © TLH

Ein Großteil der global hergestellten Textilien basiert auf fossilen Rohstoffen, der Textil- beziehungsweise Modesektor hat daher einen gewichtigen Anteil an den weltweiten Emissionen sowie etwa an 35 % des Mikroplastiks, das vorwiegend beim Waschvorgang entsteht. Zudem benötigen konventionelle Produktionsmethoden von Textilfasern pro T-Shirt die unglaubliche Menge von etwa 2700 l Wasser. Der Baumwollanbau hat für technische Bewässerungen ebenfalls einen enormen Wasserverbrauch. Dazu kommt der Einsatz von Pestiziden in den Plantagen.

Getragen von diesen ökologischen Herausforderungen, war ein erster Teil der Vorträge, auch unter Einbeziehung von Gastreferenten von Unternehmen, wie der Lenzing Group, Textilfirmen und Instituten der Textil- und Faserforschung, dem Stand der Technik und den Innovationen rund um das Thema Cellulosefaser gewidmet. 

Mit WDBSD TX wurde eine vom TLH entwickelte, neue Generation von Textilfasern auf Basis von Buchenholzzellstoff vorgestellt. Die Anwendungen der Entwicklung reichen von technischen Textilien über den Hygienebereich bis zu Textilmode und Heimtextilien.

Technologische Basis für die Faser ist die Lösung des an sich schwer lösbaren Zellstoffs in einer ionischen Flüssigkeit als Direktlösemittel, wobei die Lösung dann im Nassspinnverfahren versponnen wird. In der Folge kann die ionische Flüssigkeit in einem Wasserbad abgetrennt und wiedergewonnen werden. Somit entsteht ein praktisch geschlossener und umweltfreundlicher Kreislauf an Chemikalien und Prozesswasser, der bei niedrigen Prozesstemperaturen abläuft. Dokumentiert wurden die Möglichkeiten der neuen Faser durch einen Einblick in alle Entwicklungsschritte von Faserproduktion bis hin zum textilen Gewebe und dem Design. 

Letzteres mündete in einer eindrucksvollen Modeschau, bei der Studierende vom Texoversum der Hochschule Reutlingen ihre selbst entworfene Kollektion aus dem WDBSD TX-Gewebe vorstellen konnten. 

Intelligente Textilien

Ein weiterer Schwerpunkt umfasste die Thematik intelligenter Textilien, die mit antimikrobiellen und antiviralen Eigenschaften oder Sensoren ausgestattet sind und so bei medizinischen Anwendungen eine Integration von Diagnose, Therapie und Überwachung ermöglichen.

Carbonfasern aus Cellulose

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Auch abseits der zahlreichen Vorträge blieb genügend Zeit um sich mit den anderen Teilnehmern der Laubholztage auszutauschen © TLH

Carbonfasern sind das Symbol für außergewöhnliche mechanische Leistungsfähigkeit bei geringem Gewicht. Sie sind daher unverzichtbar in Bereichen wie Luft- und Raumfahrt, Mobilität, Sportgeräten und bei Windenergie. Sie zeigen ein äußerst dynamisches Wachstum im technischen Einsatz. Ihr einziger Nachteil: Sie basieren auf fossilen Ausgangsstoffen und benötigen einen hohen energetischen Aufwand bei der Herstellung. Darüber hinaus ist das Recycling von mit Kohlenstofffasern verstärkten Kunststoffen (CFK) sehr problematisch.

Bei einer Carbonfaserherstellung durch das Nassspinnen von endlosen Filamenten aus der direkt in einer ionischen Flüssigkeit gelösten Cellulose sind gegenüber der konventionellen Carbonfaserherstellung weniger Prozessschritte notwendig. Dadurch reduzieren sich Kosten und Umweltbelastung. Die auf diesem Wege erzeugten Cellulosefasern werden in einem weiteren Entwicklungsschritt durch einen Niederdruck-Stabilisierungsprozess direkt in Carbonfasern umgewandelt. Während des gesamten Verfahrensablaufs entstehen keine Abgase oder schädliche Nebenprodukte. Die neue Pilotanlage zur Herstellung von cellulosebasierter Carbonfaser am TLH erlaubt nun, in Kooperation mit deutschen Instituten für Textil- und Faserforschung, Denkendorf, alle Einflussparameter auf den Prozess beziehungsweise die Fasereigenschaften auszutesten und entsprechend hoch zu skalieren.

Von der Idee und Umsetzung in den Ruhestand

Ein Überhang an Laubholz, insbesondere von Buche, die in hohem Ausmaß nur wenig wertschöpfend energetisch genutzt wurde, stand in Verbindung mit der Klimaanpassungsstrategie des Landes Baden-Württemberg Pate für die Entwicklung der Vision eines Technikums Laubholz. Mit Ludwig Lehner und seiner mehr als drei Jahrzehnte langen Erfahrung als Berater und Vermittler zwischen Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft fand das Land den idealen Experten und Treiber, diese Vision in einem umfassenden Beteiligungsprozess aus Politik, Wirtschaft und Forschung zu verwirklichen. Nach vollendeter Aufbauarbeit und äußerst erfolgreicher Tätigkeit als Gründungsvorstand und Vorstandsvorsitzender am Technikum Laubholz ging Lehner mit April in den wohlverdienten Ruhestand.

In einer feierlichen und auch sehr kurzweiligen Verabschiedung von Lehner durch den Geschäftsführer des TLH, Dr. Tobias Wolfinger, durften die Teilnehmer der Tagung den oft steinigen und letztlich doch sehr erfolgreichen Weg von den ersten Ideen bis zu den aktuellen Projekten nachvollziehen. Wertschöpfung mit Laubholz wurde damit weit mehr als nur ein Schlagwort.